DOPPELPUNKT April2024
Lesezeichen April 2024 Petri Heil amWallersee E s ist halb sieben am Morgen. Ich stehe am Steg im Strandbad Seekir- chen und bewun- dere den herrlichen Sonnen- aufgang. Es ist ungewohnt ruhig und friedlich, die Vögel singen. Plötzlich ertönt ein leises Gebrumme und ein klei- nes Fischerboot erscheint aus dem beinahe mystisch wirken- den Morgennebel des Waller- sees. Gut gelaunt steuern die zwei Berufsfischer, Christi- an Senior und Christoph Ka- peller, auf den Steg zu und ich darf zu ihnen in das Fischer- boot steigen. Dann geht’s los: das erste Fischernetz wird an- gefahren. J eden Abend bringt Chris- tian Senior die Fischernet- ze im See aus, erzählt uns der rüstige Fischer. Ich kann kaum glauben, dass er bereits 95 Jahre alt ist. „Das tägliche Fischen hält mich jung, es ge- hört einfach zu mir dazu“, lacht er. „Solang mich Chris- toph mit hinaus nimmt, fahre ich mit!“ Das Boot schaukelt und es drängt sich mir die Fra- ge auf, ob denn schon mal ei- ner der beiden ins Wasser ge- fallen sei. Nein, versichern sie mir lachend. Wenn ich mir ih- re sicheren Bewegungen in dem schaukelnden Fischer- boot ansehe, hege ich keiner- lei Zweifel an dieser Aussage. Inzwischen sind wir beim ersten Fischernetz angekom- men, nur erkennbar an einer kleinen Boje. Christoph und sein Opa holen das Netz ein, und da plötzlich: ein Karp- fen. Fasziniert beobachte ich, wie der zappelnde Fisch aus dem Netz gewickelt wird. Das Tier ist ziemlich verhed- dert, die Befreiungsaktion dauert. „Das kommt oft vor, dass sich die Fische um sich selbst drehen und sich richtig einwurschteln“, meint Chris- toph. Nachdem der Karpfen aus den Fängen des Netzes befreit ist, kommt er in ein kleines Zwischenbecken, das sich direkt im Fischerboot be- findet. Dann wird das Netz weiter eingeholt, es kommt noch ein Hecht zum Vor- schein. Es ist ein prachtvolles Tier, ungefähr 70 Zentimeter lang. Christian Senior stellt mit fachmännischem Blick fest, dass der Hecht voller Laich ist. Der Fisch hat Glück und wird vorsichtig wieder ins Wasser gelassen. Die beiden Fischer erklären mir, dass die Nachfrage nach Hecht deutlich zurück gegan- gen ist. Grund dafür sei wohl, dass der Hecht viele Gräten hat. Überhaupt habe sich der Fischkonsum in den vergan- genen Jahren und Jahrzehnten stark verändert. Früher war es noch normal, ganze Fische zu kaufen. Mittlerweile möchten die Kunden fast ausschließ- lich Fischfilets, stellt Chris- toph mit leichtem Bedauern fest. Auch die Nachfrage bei Fischarten hat sich verändert. Galt früher ein Hecht oder eine Brachse noch als Le- ckerbissen, machen die meis- ten Kunden einen Bogen um diese Fische und bevorzugen grätenlosere Arten wie Zan- Die REPORTAGE
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