VOLLMOND 2-2018
Mai 2017 März 2018 Se i t e 18 Aktuelle Rundschau W arum vor mehr als hundert Jahren ein ganzes Waldstück imWolfgangsee ertrank, wie hohe Wel- len im Ping-Pong-Spiel die Ufer verwüsteten, warum ein Lokführer durch einen Felssturz zum tragischen Helden wurde und warum man in der Kalten Kuchl kei- nen Imbiss erwarten sollte, verrät dieser „Salzburger Grenzfall“. Der Legende nach hatte der Teufel seine Hände im Spiel und setzte Felsen ringsum in Bewegung, um den Heiligen Wolfgang zu zerquetschen. Der heilige Held stemmte jedoch Rücken und Hände gegen die stürzenden Felsblöcke, die wie Wachs nachgaben. Weitaus weltlicher ist die Er- klärung des Landesgeologen Rainer Braunstingl: „Entlang der südwestlichen Uferlinie am Wolfgangsee verläuft eine be- trächtliche geologische Störung an einer Bruchzone zwischen Flyschzone und Kalkalpen. Beim Ausbau der Wolfgangsee Bundesstraße Ende der 1960er Jahre wurde die Störung mehr- fach angeschnitten und erfor- derte aufwändige Schutzbauten am Berghang.“ Gewaltiger Felssturz mit nassen Folgen Klar mit Zeitungsberichten belegt und der örtlichen Erin- nerung noch präsent ist ein ge- waltiger Bergsturz am 2. April 1907, der beim damaligen Sommerfrischehotel Lueg ein großes Stück Jungwald von der Gamswand in denWolfgangsee beförderte. Meterhoch türmten sich die Erd- und Steinmassen auf der Trasse der damaligen Reichsstraße und der Isch- lerbahn, von der 100 Meter Gleise im See verschwanden. Augenzeugen berichteten, dass die Seeoberfläche zehn bis 18 Meter zurückwich. Angesichts der gewaltigen Naturkräfte, die viele St. Gilgener anfangs für ein Erdbeben hielten, kamen glücklicherweise keine Perso- nen zu Schaden. Die ausgelös- te Flutwelle im See blieb nicht ohne Folgen: Knapp zwei Ki- lometer entfernt gingen auf der Veranda des Gasthauses Für- berg Scheiben zu Bruch, als die aufgepeitschten Wassermassen das gegenüberliegende Seeufer erreichten und bis zu 220 Meter landeinwärts vordrangen. Doch damit nicht genug: Die Rück- welle richtete sich bei Lueg bis zu acht Meter auf und riss eini- ge für den eben aufkeimenden Fremdenverkehr aufgestell- te Badehütten um. Zuggäste mussten für einige Monate auf die Wolfgangseedampfer und Plätten als Schienenersatzver- kehr umsteigen. Wald unter Wasser Fürberg-Besitzer Bernhard Ebner kann die unter Einheimi- schen noch heute als „Orutsch“ bekannte Stelle im See heute noch gut ausmachen, wenn er im Fischerboot unterwegs ist: „Im klaren Wolfgangseewasser ist der ertrunkene Bergwald ein beliebter Tummelplatz für die Fische, unter der Wasserober- fläche stehen die Bäume kreuz und quer“, so Ebner, zu dessen Leidwesen sich die Fischernet- ze gelegentlich im Geäst ver- fangen. Dramatischer Lok-Absturz Etwasmehr als vier Jahrzehn- te später sorgte ein Felssturz auf der oberösterreichischen Seite der Scharflinger Höhe für zwei Todesopfer. Der Mitter- nachtszug der Ischlerbahn stieß unmittelbar nach einer Tunnel- ausfahrt in eine kurz zuvor ab- gegangene Felslawine, die die Schienen weggerissen hatte. Die Lok stürzte dabei mehr als 60 Meter den Abhang hinun- ter. Heizer und Lokführer star- ben dabei, der tote Lokführer wurde mit verkrampfter Hand am Bremshebel gefunden. Er hatte versucht, eine schlimme- re Katastrophe zu verhindern. Die Fahrgäste in den auf den Gleisen verbliebenen Waggons kamen mit dem Schrecken da- von. Kurioses über Gren- zen hinweg. Die Salz- burger Grenzfälle versammeln Kuriositäten rund um die Grenzen Salzburgs und bilden eine aufschluss- reiche Lektüre zu Geschichte, Landeskunde und Politik des Bundeslandes. Der Autor Ste- fan Mayer beschäftigt sich seit 2002 mit grenzfälligen Beson- derheiten in und um Salzburg. Er gestaltet die monatliche Serie „Grenzfälle”, von der bereits vier Bücher erschienen sind. Band 4 kann im Webshop des Landes (www.landversand. salzburg.gv.at ) um 6,90 Euro bestellt werden. Digitale Ver- sionen aller vier Bände stehen dort zum kostenlosen Herun- terladen zur Verfügung. Die Lokomotive der Ischlerbahn stürzte 60 Meter ab. Der Lokfüh- rer und sein Heizer kamen dabei ums Leben. Bild: Sammlung Helmut Fritz Der gewaltige Felssturz im Jahr 1907 bei Lueg spülte auch die Gleise der Ischlerbahn in den Wolfgangsee. Bild: Sammlung Heinz Harrer Tsunami am Wolfgangsee HISTORISCHES AUS DEM MONDSEELAND
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