VOLLMOND 6-2021
Die betende Gretel SAGE aus dem Mondseeland ie Tochter des letzten Vogtes auf der Burg Wartenfels, Margare- te, war als das schöns- te und tugendhafteste Mäd- chen in der weiten Umgebung von Thalgau und im Mondse- land bekannt. Wenn sie mit ih- rem blonden, wehenden Haa- ren durch den Bergwald am Fuß des Schobers lief, glaubte man, dass eine Fee zwischen den Bäumen tanzen würde. Eines Tages freite ein sehr wohlhabender, aber gewalt- tätiger und gefürchteter Rit- ter aus der Nachbarschaft um sie. Der raue Kerl hatte sei- nen Reichtum von unzähligen Raubzügen mitgebracht und zeigte mit Trink- und Streit- sucht alle Eigenschaften eines bösen Menschen. Die alte Veste Wartenfels war bereits baufällig, im Dach regnete es herein und viele Mauern begannen schon zu bröckeln. Verzückt vom Gold und Silber des rüden Ritters wünschte der Vater die Ver- bindung seiner Tochter mit ihm. Das Burgfräulein war aber im Stillen dem Sohne des Pflegers von Wildeneck zugetan und mit ihm heim- lich verlobt. So wurde bereits, obwohl Margarete den älteren Freier nicht liebte, bald ein rauschendes Verlobungsfest angesetzt. Von überall lud der Vogt die Repräsentanten der bedeutendsten Geschlechter nach Wartenfels ein. In ihrer Verzweiflung floh das Edel- fräulein aus der Burg und irrte in den Wäldern umher, bis sie zum Fuß der Drachenwand kam. Der verblendete Vater, der wütende Freier und das ganze Jagdgesinde mit Hun- den begaben sich auf die Su- che. Als die johlende Meute und die bellenden Tiere im- mer näherkamen, sahen sie die Unglückliche betend vor dem Felsmassiv sitzen. Bevor sie die Entflohene ergreifen konn- ten, begann bereits ihre ausge- streckte Hand zu versteinern. Unter Wehklagen wurde sie zu einem Steinbild, das dann an der Drachenwand sichtbar war. Von Reue und Schmerz gebrochen, kehrte der Vater in die Burg zurück und starb bald darauf einsam als Letzter seines Geschlechtes. Information zur Sage: Auf der Breitseite der Drachen- wand erblickt man heute noch, von Mondsee aus auf halber Höhe des Berges, die Stein- gestalt der betenden Jungfrau, die, in einem Mantel gehüllt, auf den Knien liegt und ihr vor Schmerz aufgelöstes Antlitz gegen den Boden beugt, als ob sie ihre Tränen verbergen wollte. Ihr reiches Haar ist in einem Knoten gewunden. Der zweite Schobergipfel, der an die Drachwand anschließt, bildet deutlich den Kopf eines Mannes, der zur Jungfrau hinü- berblickt. Der Volksmund weiß aber nicht zu sagen, ob dieses Steinbild den reuigen Vater oder den heimlichen Verlobten Margaretes darstellen soll. Sagenquelle aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wand. Sagen und Märchen einer Landschaft für Erwach- sene und Kinder, Illustra- tionen Heilgard Maria Bertel, Herausgeber, Verleger Prof. MMag. DDr. Bernhard Baltha- sar Iglhauser, Verkauf: im Ge- meindeamt Thalgau D 14 VOLLMOND 6/2021
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