Wie mich der Tanga-Mann zum Drachensteigen brachte

Drachensteigen ist nicht nur ein Kinderspiel. Das weiß ich, seit ich in den Dünen am Strand von Romo neben einem braungebrannten Mittsiebziger in einem ganz knappen roten Tanga lag. Der hatte ein halbes Dutzend Drachen in der Luft. Die Leinen am Boden waren an schwere Sandsäcke geknotet. An den oberen Schnurrenden tänzelten lustige Gestalten im Wind. So etwa ein riesiger Tintenfisch mit acht meterlangen Beinen. Oder ein Seeadler, der dem echten Vogel zum Verwechseln ähnlich sah. Auch der Bär Winnie Puuh war dabei. Er war das Sorgenkind des Tangamannes. Denn immer wenn eine besonders kräftige Böe die Drachen vor sich her trieb, klappte bei Winnie Puuh der linke Arm weg. Sein hübsches Gesicht verzog sich zur Fratze und sein Bauch blähte sich auf. Wenn auch noch eines der Beine unnatürlich weggeblasen wurde, stellt sich der arme Bär auf den Kopf. Spätestens dann war es für Tangamann Zeit, sich vom Liegestuhl zu erheben. Er zog dann drei- oder viermal kräftig an der Drachenleine und pumpte so Winnie Buh wieder zu hübschen Proportionen auf.

So gesehen wäre die Arbeit getan gewesen und der Tangamann hätte sich wieder auf seinen Liegestuhl zurückziehen können. Wären da nicht noch die Windspiele am Boden gewesen. Hier trieb der Wind Krebse, Schildkröten und Spinnen an mehr oder weniger langen Leinen vor sich her. Auch eine Schlange war dabei. Auch hier musste hin und wieder eingegriffen werden, wenn sich die Leinen der Krabbeltiere ineinander verfangen haben.

Der Tangamann hatte auch eine Frau. Das habe ich aber erst etwas später bemerkt. Die lag ebenfalls braun gebrannt und mit einem knappen Bikinioberteil bekleidet in einem Liegestuhl zwischen zwei Sandhaufen und schenkte den Windspielen ihres Mannes keinen Blick. Ob die Frau auch einen Tanga trug, kann ich nicht sagen. Sie hat sich den ganzen Tag nicht bewegt.

Kaum erwähnenswert ist auch, dass Tangamann so ganz nebenbei noch einige Windsäcke an seinem Wohnmobil angebunden hatte. Ganz lustige, die sich im Wind drehten und so zeitweise wie riesige Blumenblüten aussahen. Aber solche Sandsäcke hingen fast an jedem Wohnmobil, das hier am Strand stand.

Wohnmobile am Strand? Sie haben richtig gelesen. Weil was praktisch in allen europäischen Mittelmeerländern verboten oder technisch nicht möglich ist, gehört hier auf der dänischen Insel Romo mit dem größten Sandstrand Europas praktisch zum guten Ton. Wer mit dem Wohnmobil hier ist, muss mindestens einen Tag mit dem Camper am Strand stehen. Die Surfer und Kiter parken ganz vorne. Praktisch an der Wasserkante. Auch Familien mit kleinen Kindern stehen gerne hier.

In der Mitte der Strandes stehen die Drachensteiger. Sie haben so in jede Richtung Platz. Egal woher der Wind kommt. Außerdem sind auch die Toiletten und der Buffetwagen in diesem Bereich.

Die Genießer stellen ihren Wagen ganz an die Dünen. So sind sie von hinten vor neugierigen Blicken und drehenden Winden geschützt, haben aber trotzdem den totalen Überblick über den ganzen Strand vor ihnen.

Natürlich habe ich mir nach dem Nachmittag neben dem Tangamann auch einen Drachen gekauft. Aber keinen von der Stange, so wie sie hier an vielen Kiosken und Geschäften angeboten werden, sondern von meinem Nachbar auf dem Campingplatz. Der hat sich schon am ersten Abend als Drachenschneider aus Hamburg herausgestellt und mich mit einer großen Auswahl an Flugdrachen unschlüssig gemacht. Schließlich habe ich mich für einen kunterbunten Drachen entschieden, der einem kleinen Paraglider nicht ganz unähnlich ist und in der Luft ein bisserl wie eine fliegende Luftmatratze mit zwei langen Schwänzen aussieht.

Ich habe den Drachen am nächsten Tag sofort ausprobiert und bin dabei zu den Erkenntnissen gekommen, dass Drachen steigen lassen zumindest auf Romo wirklich nicht nur Kinderspiel ist. Und dass schon viele Drachen vom Himmel gefallen sind, aber noch nie ein Meister im Drachenfliegen.

Rupert Lenzenweger

Mehr über die Reise mit dem Wohnmobil an den nördlichsten Punkt Dänemarks lesen Sie hier>>>

Wer mit dem Wohnmobil nach Romo kommt, muss mindestens einen Tag direkt am Strand stehen.
Typisches Strandtreiben am größten Sandstrand Europas.
Ist er nicht hübsch, mein neuer Drache? Kein Ding von der Stange, sondern eine Einzelanfertigung eines Hammburger Drachenbauers. Alle Bilder: Rule