Wurden uns die Bären nur aufgebunden?

Nehmt euch vor den Bären in Acht. Diese Warnung haben wir mehrmals von Bekannten und Freunden gehört, nachdem wir von unseren Reisenplänen durch die Slowakei entlang der Hohen und Niederen Tatra erzählt haben.

Jetzt sind wir mit den Fahrrädern durch das Demänova-Tal unterwegs. Das verläuft am Fuße der Hohen Tatra, die mit einer Gesamtlänge von gut 30 Kilometern als das kleinste Hochgebirge der Welt gilt. Die Radwege sind gut beschildert, die Luft riecht nach Frühling und überall blühen die Obstbäume. Freundliche Menschen grüßen und bieten uns ihre Hilfe an, sobald wir stehen bleiben. Nur von Bären haben wir bis jetzt nichts bemerkt.

Als uns plötzlich ein Lämmerherde den Weg versperrt, kommen wir mit Jozef ins Gespräch. Der ist Hirte und lehnt auf einem völlig krummen Stock und sofort erfahren wir, was es mit diesem verkrüpelten Trumm in seinen Häden auf sich hat. Der Stock ist so gebogen, dass er in seiner vollen Länge zum Wandern taugt. Und weil ein Hirte viel stehen und nach seinen Tieren Ausschau halten muss, ist die Astgabel des Stockes genau auf der richtigen Höhe, um sich bequem hinzulehnen.

350 Lämmer hat die Herde, auf die Jozef aufpassen und die Tiere beschützen muss. Jozef erzählt uns, dass nicht die Wölfe gefährlich sind, sondern die sechs Bären, die sich hier in der Gegend herumtreiben. Aber solange er dabei ist, traut sich kein Bär an die Herde heran. Denn Bären sind scheue Tiere und meiden die Menschen wie der Teufel das Weihwasser. Trotzdem erzählen wir Jozef, dass wir vor unserer Abreise von Freunden und Bekannten immer wieder vor Bären gewarnt wurden. „Die haben euch einfach einen Bären aufgebunden“, lacht der Hirte und lehnt sich auf die bequemste Astgabel seines verkrüppelten Stockes.

Rupert Lenzenweger

Wanderhirte Jozef, Herr über 350 Lämmer und stolzer Besitzer eines besonders krummen Stockes, auf dem sich bequem lehnen lässt. Bilder: Rule