Zarte Stimme im rauen Wind
Praktisch alle meine Freunde und Bekannten behaupten, dass ich ziemlich unmusikalisch bin. Meine Frau würde das sogar beschwören und die Kinder sowieso. Trotz dieses vernichtenden Urteils lasse ich mir die Freude an der Musik nicht nehmen. Wann immer ich ein Lied höre, muss ich sofort im Takt dazu wippen, mit dem Fuß klopfen oder den Kopf schütteln. Kenne ich den Text auch nur halbwegs, dauert es nicht lange, bis ich mitsinge. Zumindest den Refrain. Dabei bin ich nicht wirklich wählerisch, solange sich die Musik nicht zu einer opernhaften Quietscherei einer Diva entwickelt oder auf der anderen Seite nicht allzu tief ins Heavy Metal abgleitet. Auch volkstümliche Schlager sind nicht unbedingt meine Leidenschaft. Aber ansonsten, wie gesagt, nicht wählerisch.
Die meiste Freude habe ich, wenn Musik unerwartet daher kommt. Deshalb mag ich Straßenmusikanten, die meistens auch noch Lieder spielen, die mir wirklich gefallen. Ich bin dann der, der am längsten zuhört. Ganz nach dem Motto: Eh nur noch das nächste Lied und dann gehen wir gleich weiter.
Völlig unerwartet traf mich die Musik auch auf einem Campingplatz in Hive Sande. Das ist an der Nordküste Dänemarks und nur eine Sanddüne trennt den Campingplatz von der Nordsee. Wellenrauschen und Windpfeifen sind dort kein Lärm, sondern gehören zur Stille. Keine Angst, man gewöhnt sich daran. Aber ausgerechnet in dieser Stille hörte ich an einem frühen Morgen eine zarte Stimme, die harmonisch Balladen trällerte. Natürlich habe ich zuerst an ein Radio gedacht. Aber dann war die Musik doch zu authentisch, zu lebendig. Handgemacht würde ich sagen, dieser Ausdruck trifft es wohl am besten. Ich machte mich auf die Suche nach dem Ursprung der zarten Stimme im rauen Wind. Und stand bald bei Hieke. Die saß vor ihrem Bungalow, spielte Gitarre, sang dazu und ließ sich von mir überhaupt nicht stören. Das gefiel mir. Und als ich Hieke nach drei oder vier Balladen um ein zusätzliches Lied für mich bat, bekam ich dieses auch und wir kamen ins Plaudern.
Hieke erzählte mir, dass sie aus einer musikalischen Familie kommt. Der Vater Pianist, der Onkel Opernsänger und Hieke selbst mit sechs Jahren am Klavier. Mit 13 Jahren bekam sie zu Weihnachten eine Gitarre und ist seither diesem Instrument treu geblieben. Sie studierte Musik, spielte E-Gitarre bei einer Frauenband und begann schließlich selbst Lieder zu schreiben. Heute lebt die Musikerin in Stangenhagen (ein Stadteil von Trebbin in Brandenburg) und ihre Lieder handeln von der Natur, den Menschen aus der Umgebung und verrückten Zeitgenossen, die es ihr besonders angetan haben. „Des Waansinns bunte Flügel“ heißt eines ihrer Lieder, bei dem ich den Refrain mitsingen durfte. Lautstark haben wir dann gemeinsam gegen den Wind „der Waansinn…….Waaaaaaaaaansinn! Der Waansinn, der Waansinn, Waansinn!!“ angesungen. Und Hieke hat danach nicht gesagt, dass ich unmusikalisch wäre. Und die versteht schließlich wirklich etwas davon.
Rupert Lenzenweger

