Alessandro ist ein herzlicher Gastgeber

Abendessen bei Alessandro mit dem Gärtner von Paris

Alessandro hat 40 Zähne. Grob geschätzt. Diesen Eindruck hast zumindest, wenn er lacht. Weil dann geht sein Mund wirklich von einem Ohr zum anderen. Aber nicht nur sein tadelloses Gebiss zeigt Alessandro beim Lachen. Er blöckt dabei, funkelt mit den Augen und wirft den Kopf immer wieder nach hinten. Das ist ansteckend. So dauert es nicht lange, bis alle mit Alessandro mitlachen. Das kann für Ungeübte anstrengend werden. Weil Alessandro lacht praktisch immer.

Alessandro ist Bauer. Sein Hof liegt in der Nähe von Iglesias. Das ist südwestlich auf der Insel Sardinien. Dutzende Lämmer traben über die Weiden. Hunderte Olivenbäume stehen rund um die Gebäude. Dazwischen Korkeichen, von denen rund die Hälfte abgeerntet ist. Erkennbar am nackten, roten Stamm. Acht Jahre dauert es, bis die Rinde wieder nachgewachsen ist. Ein paar Maronibäume stehen auch noch ganz nahe am Wohnhaus. Im Herbst verkocht Alessandro die Edelkastanien direkt vom Baum weg. Hinter dem Haus hopsen Kaninchen, Hasen und Hühner in einem Freigehege. Ob die im Spätherbst auch im Kochtopf landen, kann ich jetzt nicht sagen. Im Sommer sind sie aber dazu da, um Kindern eine Freude zu machen. Nicht nur Alessandros Enklerln, sondern auch den Kindern, die gemeinsam mit ihren Eltern ein paar schöne Tage auf dem Hof verbringen und ihre Ferien genießen. Weil Alessando hat auch einen kleinen Campingplatz. Hier kann jeder nicht nur sprichwörtlich sein Zelt aufschlagen oder den Wohnwagen parken.

Alessandro ist aber beileibe nicht der einzige Landwirt, der in Sardinien auf seinem Grundstück zum Urlaub machen einlädt. „Agriturismo Sardinien“ hat sich in den vergangenen Jahren zu einem äußert erfolgreichen Projekt entwickelt. Dabei bleiben fast keine Wünsche offen. Vom kleinen, einfachen Campingplatz bis hin zu luxuriösen Appartements mit sagenhaften Pool-Landschaften oder eigenen Meeresstränden spannt sich der Bogen des Angebotes.

Die Preise sind moderat, was aber nur ein Teil des Erfolges ist. Wesentlich wichtiger ist vielen Urlaubern, dass sie bei ihren „Agriturismo-Ferien“ oft Teil der Bauernfamilie sein können. Aber das muss nicht sein. Wer lieber unter sich bleibt, kann das auch tun.

Bei Alessandro wäre das ein Fehler. Weil der ist nicht nur ein herzlicher Gastgeber, sondern auch ein begnadeter Koch. Und so hat er nach unserer Ankunft scheinbar im Handumdrehen drei riesige Krebse aus dem Ärmel gezaubert und uns unter die Nase gehalten. Ob wir die vielleicht zum Abendessen möchten? Wir haben freudig genickt und uns mit dem hervorragenden roten Hauswein einen Vorgeschmack in den Mund gezaubert.

Maurice lernten wir beim Abendessen kennen. Er ist gebürtiger Franzose, war mehr als dreißig Jahre lang Gärtner im städtischen Park vor dem Eiffelturm in Paris und hat vor ebenso langer Zeit bei seiner Arbeit Alessandros Schwester kennen und lieben gelernt. Im nächsten Sommer kam er nach Sardinien. Er wohnte für ein paar Wochen in einem Wohnwagen auf Alessandros Hof. Die Liebe zu Allessandros Schwester zerbrach im zweiten Sommer. Die Begeisterung für Sardinien und den Wohnwagen direkt am Rand zur Olivenbaum-Allee aber blieb. Seit Maurice vor einigen Jahren in Pension ging, lebt er das ganze Jahr über in dem inzwischen ziemlich alten Wohnwagen und greift Alessandro bei der Arbeit am Campingplatz unter die Arme.

Obwohl inzwischen bis ins tiefste Herzen hinein ein Sarde, hat sich Maurice den Blick erhalten, den so oft nur Außenstehende haben. Jeder kennt das. Direkt vor deiner Haustüre übersiehst du die Schönheiten, die Fremde in Verzücken versetzen. Und so hat auch Alessandro zwar stets lachend aber trotzdem immer nur abwertend mit den Schultern gezuckt, wenn uns Maurice einen Ausflugstipp für die nächsten Tage gab. Das war zwischen Antipasti (mariniertes Gemüse, Prosciutto und verschiedene Salate) und Primi Piatti (besagter Krebs auf einem Berg Spaghetti).

So kamen wir am nächsten Tag nach Porto Flavia und zum Zuckerhut Sardiniens. Jetzt verbindest die ersten Gedanken an die zweitgrößte Insel im Mittelmeer nicht unbedingt mit einer Industrieruine. Eine solche aber sind Porto Flavia und das Masua-Bergmassiv. Vor gut hundert Jahren wurden dort blei- und zinkhaltige Steine abgebaut, die für die Hütten in Nord Europa wertvolle Rohstoffe waren. Wie aber soll das Gestein auf Schiffe verladen werden, wenn es weit und breit keinen Hafen dafür gibt? Der Ingenieur Cesare Vecelli hatte die Idee und schuf eine Bergwerkslösung und einen Seehafen, der noch heute weltweit einzigartig ist. Vecelli ließ vom Abbaugebiet weg zwei 600 Meter lange Stollen in den Berg treiben. Die Stollen liegen übereinander und münden lotrecht über dem Meer. Im oberen Stollen wurden von Zügen die Silos im unteren Tunnel beladen. Die konnten bis zu zehn Tausend Tonnen Material fassen. Über ein Förderband wurden mit einem beweglichen Arm dann das Blei und Zink auf Dampfschiffe verladen.

Obwohl von vielen Experten Cesare Vecellis kühner Plan als komplette Spinnerei abgetan wurde, gab die Bergbaugesellschaft grünes Licht. So entstand zwischen 1922 bis 1924 diese atemberaubende Anlage, die nicht nur zur damaligen Zeit eine herausragende Ingenieursleistung war. Cesare Vecelli benannte diese weltweit einzigartige Hafenanlage nach seiner Tochter Flavia.

Die Bedeutung von Porto Flavia nahm in den 1960er Jahren nach dem Rückgang der Bergbauaktivitäten ab. Komplett geschlossen wurde der Hafen, als die Mineralienproduktion in Masua in den 1990er Jahren eingestellt wurde. Heute ist die Anlage im Besitz einer öffentlichen Gesellschaft, die sich um die Restaurierung und Erhaltung kümmert. Seit einigen Jahren sind die Minen von Masua und Porto Flavia auch eine UNESCO-Welterbestätte.

Stündlich finden Führungen durch den oberen Stollen des Porto Flavia statt, die auf einem großen Plateau dreißig Meter über dem Meer endet. Von hier aus wurde einst der bewegliche Arm zum Beladen der Schiffe erreicht. Heute ist dieser Balkon in erster Linie ein hervorragender Standort für den Blick auf den 132 Meter hohen „Pan di Zucchero“.

Rupert Lenzenweger -12. 2. 2024-

Luxuriöse Stellplätze mit eigener Terrasse bei Alessandro. Alle Bilder: Rule
Porto Flavia, der 600 Meter lange Stollen im Berg führt zum Hafen hoch über dem Meer.
Die Dampfschiffe wurden über einen langen Arm mit dem Erz beladen.
Der 132 Meter hohe Zuckerhut von Sardinien.