Jetzt weiß ich, wo der „Bumper Nickel“ wohnte

Serge lacht mich an, während er offensichtlich in seinem Hinterkopf zu rechnen beginnt. „Ich glaube, ich muss die 15. oder 16. Generation sein. So genau weiß ich das nicht, spielt aber auch keine Rolle. Sicher ist, dass ich ein direkter Nachkomme des Bumper Nickel bin.“

„Bumper Nickel?“ frage ich nach: „Erfinder des grobschotigen Schwarzbrotes?“

„Das fragen mich alle“, lacht Serge sichtlich erheitert.

Wir stehen in einem kleinen, verwilderten Innenhof mitten in Wissembourg, der kleinen Stadt an der deutsch-französischen Grenze und eines der Schmuckstücke des Elsass. Wir haben kurz zuvor das wuchtige Fachwerkhaus direkt gegenüber der Peter und Paul geweihten Kathedrale bewundert. Da ist Serge aus dem riesigen Holztor getreten um ein Paket von DPD entgegen zu nehmen. „Schönes Haus“, murmelten wir. „Erbaut im 13. Jahrhundert“, klärt uns Serge auf, offensichtlich erfreut über unser Interesse: „Ab dem 14. Jahrhundert das beste Wirtshaus am Platze und das viele Jahrzehnte lang.“ Und dann die überraschende Frage: „Wollt ihr euch auch den Innenhof ansehen?“

Wir wollen. Treten ein in eine unerwartet grüne Oase. Mit Weinreben an allen Hausmauern, bis hinauf zu den Dachrinnen. Wildnis wohin wir schauen und trotzdem gepflegt. Seit rund 55 Jahren lebt Serge in diesem Haus. Mit 19 Jahren, so erzählt er uns, hat er das Pflaster im Innenhof selbst verlegt. Stein für Stein. Die Pflastersteine stammen vom Hauptplatz von Wissembourg. Damals wurde begonnen, den Platz zu asphaltieren. Der junge Serge hat geistesgegenwärtig gehandelt und viele der Pflastersteine gerettet. Immer nachts ist er mit einer Scheibtruhe losgefahren, um sich Pflastersteine zu holen. Bis er so viele Steine hatte, um damit den Innenhof auszulegen.

Und was hat das jetzt alles mit Bumper Nickel zu tun, werden Sie jetzt wissen wollen. Und ich sag´s Ihnen: Serge ist nicht nur ein begnadeter Pflasterer. Er ist auch ein Historiker. So wie sein Vater. Der war Geschichtsprofessor und hat auch die Chronik von Wissembourg aufgeschrieben. Haus für Haus hat er sich vorgenommen und penibel alle Besitzer und Bewohner recherchiert. So weiß der Serge jetzt, dass vor 15 oder 16 Generationen seiner Familie in diesem Haus ab 1510 auch der „Bumper Nickel“ gewohnt hat. Der hieß mit seinem bürgerlichen Namen Nicolas Durant und war „des Bäckers Sohn im Bruch“. „Tatsächlich war der Nicolas so etwas wie der Dorftrottel“, bringt es Serge auf den Punkt. Geld hat Nicolas nie gehabt. Trotzdem hat er jeden Tag seine Runden durch alle Gasthäuser der Stadt gedreht. Er hat die Gäste mit seinen Blödeleien und fantasierten Geschichte unterhalten. Und was die Gäste an Speis und Trank über ließen, das haben die Wirte für den „Bon-poor Nickel“ aufgehoben. So ist im Laufe der Zeit der Bäckerbub zu seinem Spitznamen „Bumper Nickel“ gekommen.

In Wissembourg kennt jeder den Bumper Nickel, obwohl kaum jemand weiß, woher dieser Name kommt. Und wenn bei uns eine unglaubliche Geschichte passiert, sagen wir sprichwörtlich, dass uns das alles ein bisserl an die Schildbürger erinnert. In Wissembourg ist dieser Tollpatsch der „Bumper Nickel“, der vor ziemlich genau 500 Jahren im Haus von Serge gewohnt hat.

Rupert Lenzenweger

Serge (links) erzählte mir im Innenhof seiner über 600 Jahre alten Hauses in Wissemborurg die Geschichte des legendären „Bumper Nickeln“. Bilder: Rule und Bernadette Lenzenweger.