Kultstätte für „Gatschhupfer”

Ich möchte Ihnen gleich zu Beginn dieser Reportage eine Wette anbieten und Sie nach der Motorradstadt Europas fragen. Patriotisch werden Sie mir Mattighofen zurufen. Wegen KTM. Oder München, wegen BMW. Mandello am Comer See wird vielleicht auch noch dem einen oder anderen einfallen, weil hier Moto Guzzi daheim ist. Alles falsch. Die Motorradstadt Europas ist Zschopau im sächsischen Erzgebirge. „Obwohl bei uns schon seit Jahren keine Motorräder mehr gebaut werden, haben wir diesen Titel verliehen bekommen. Und wir sind richtig stolz darauf“, freut sich der Mann an der Kasse des Enduro-Museums im ehemaligen MZ-Werk.
Wenn junge Leute von Motorrädern reden, die für den Einsatz abseits von Straßen gebaut werden, sagen sie „Gatschhupfer“. Das klingt zwar respektlos, trifft aber eigentlich den Nagel genau auf dem Kopf. Gesetztere Herrschaft und die Produzenten nennen diese Motorräder „Enduros“. Aber es ist nicht überall auch Geländetauglichkeit drinnen, wo Enduro drauf steht. Das kannst dir ein bisserl so vorstellen, wie die SUVs der deutschen Automarken. Wuchtig machen sie auf unbesiegbar, aber in der Schottergrube ist dann recht bald „Ende am Gelände“. Und das wörtlich und nur so ganz nebenbei.
Wovon wir aber jetzt reden, sind Enduros, die im Gelände ihre Stärken haben. Und deshalb hießen diese Maschinen auch lange Zeit Geländemotorräder, die vorwiegend bei sportlichen Bewerben zum Einsatz kamen.
Es gibt kaum einen Motorradproduzenten, der sich nicht im Geländesport versucht hätten. Dazu wurden nicht selten Serienmaschinen einfach nur umgebaut. Grobstollige Reifen drauf, Auspuff höher gelegt und längere Federbeine eingebaut. So entstanden die wildesten Konstruktionen, die aber nicht immer funktionierten.
Die rund 150 Maschinen im Enduromuseum haben aber alle funktioniert. Mehr noch. Jedes Motorrad hat seine Historie und wurde von einem Meister gefahren oder von einem begnadeten Konstrukteur zu einem ganz besonderen Stück veredelt. Kurzum: Es sind wahre Gustostückerl die es bei dieser Zeitreise durch den Motorrad-Geländesport von 1913 bis heute zu sehen gibt.
Na und, können Sie jetzt sagen. So ein Museum genügt, um Europas Motorradstadt zu küren? Natürlich nicht, da braucht´s schon mehr. Und fast genauso interessant wie die Motorräder selbst, sind die Gemäuer in denen das Museum untergebracht ist. Es sind Räume des ehemaligen MZ-Werkes, in denen eine 112 Jahre lange Motorradgeschichte geschrieben wurde. Seit 1906 wurden in Zschopau und Umgebung bis 2008 Motorräder gebaut. Zunächst als DKW (Dampf-Kraft-Wagen), ab 1952 als MZ (Motorradwerk Zschopau) und ab 1992 als MuZ (Motorrad- und Zweiradwerk GmbH).
Der eigentliche Höhenflug des DKW-Konzerns begann 1922 mit dem „Reichsfahrtsmodell“ und mit der Gründung der Zschopauer Motorenwerke ein Jahr später. Es folgten höchst erfolgreiche Jahre mit Siegen und Meistertiteln in allen Bewerben. Dann kam der Krieg und danach war Zschopau plötzlich DDR und MZ ein Vorzeigebetrieb des Ostdeutschlands. Bis zu 90.000 Motorrädern verlassen Anfang der 1960er-Jahre jedes Jahr das Werk.Der Großteil davon geht in den Export und auch in Österreich waren MZ auf den Straßen keine Unbekannten.
Heute sind die Motorräder aus Zschopau bei Oldtimerfreunden in ganz Europa gefragt. Zum einen deshalb, weil MZ stets mit modernster Technik glänzte. Zum anderen, weil es nach wie vor für viele Typen erschwingliche Ersatzteile gibt.
Ganz klar, dass im Enduromuseum Zschopau auch alle erfolgreichen Modell von DKW und MZ zu sehen sind. Die machen aber nur einen ganz kleinen Teil der Sammlung aus, weil die Welt des Geländesports war einst so bunt wie ein Kaleidoskop und reichte von A wie Ariel bis Z wie Zündapp. Dazu findet sich dazwischen alles was Rang und Namen hat und jemals im Gelände bewegt wurden. Natürlich auch die erfolgreichen Motorräder der österreichischen Marken KTM und Puch. In der Sammlung steht aber auch eine russische IZH Ischmasch aus dem Jahr 1985, die mit einem russischen Spätaussiedler nach Deutschland kam und in der Sowjetunion jahrelang für den Geländesport gebaut wurde. Und zwar auf jenen Fertigungsmaschinen, die 1945 die Russen im DKW-Werk in Zschopau als Reparationszahlung abgebaut und in Russland wieder aufgebaut haben. Damals sollte auch das DKW-Werk gesprengt werden, was aber mutige Werksangehörige und Bürgermeister Heinz Seidel im letzten Moment verhindern konnten.
Das deutsche Enduro-Museum in Tschoppau wird von einem Förderverein betrieben und ist jeden Freitag, Samstag sowie an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
www.deutschesenduromuseum.de
Wer in der Gegend unterwegs ist, sollte sich auf keinen Fall die Augustusburg entgehen lassen. Die Burg beherbergt eine der bedeutendsten Zweiradsammlungen Europas mit 175 Motorrädern aus aller Welt. Gebaut in den Jahren 1885 bis heute.
www.die-sehenswerten-drei.de/schloss-augustusburg